Bitcoin und seine Zyklen – kaum ein anderes Thema sorgt in der Krypto-Community seit Jahren für so viel Diskussion.Während die einen fest an das historisch bestätigte Vier-Jahres-Muster glauben, argumentieren andere zunehmend, dass Bitcoin in eine neue Phase eingetreten ist, in der die alten Gesetzmäßigkeiten an Bedeutung verlieren.
Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo zwischen den Extremen.
Doch um das aktuelle Marktumfeld zu verstehen, lohnt sich ein genauer Blick darauf, was die Zyklustheorie heute noch wert ist – und was sie uns nicht mehr erklären kann.
Die klassische Zyklustheorie: Ein Muster, das lange hielt
In den vergangenen drei Bullenmärkten erreichte Bitcoin sein jeweiliges Allzeithoch immer im vierten Quartal des Jahres nach einem Halving. Dieser Ablauf wiederholte sich 2013, 2017 und 2021 beinahe lehrbuchhaft. Anschließend folgte stets ein langer Bärenmarkt mit massiven Kursrückgängen von 78 bis 87 Prozent. Aus dieser Perspektive wirkt es logisch, dass viele Investoren auch heute wieder mit einem entsprechenden Verlauf rechnen.
Ein weiterer Aspekt, der die Theorie stützt, ist der relativ konstante Zeitraum von rund 35 Monaten zwischen dem Tief eines Bärenmarkts und dem Hoch des folgenden Zyklus. Nach dieser Logik würde ein Top im Oktober 2025 exakt in dieses Muster fallen. Viele Marktteilnehmer orientieren sich an dieser Struktur – und genau das könnte ein Teil der Erklärung dafür sein, warum die Zyklustheorie so lange erstaunlich präzise funktioniert hat. Wenn genügend Menschen an sie glauben, entsteht ein sich selbst verstärkendes Verhalten.
Warum der Zyklus diesmal gebrochen sein könnte
Doch trotz ihrer historischen Zuverlässigkeit gibt es zunehmend Hinweise, dass die Mechanik der Bitcoin-Zyklen an Bedeutung verliert. Der auffälligste Unterschied zu früher liegt darin, dass Bitcoin das Allzeithoch des vorherigen Zyklus bereits vor dem Halving überschritten hat – ein Novum in der Geschichte der Kryptowährung. Dies deutet darauf hin, dass der Markt nicht mehr das gleiche Muster wie in den Jahren zuvor folgt.
Bitcoin Kursentwicklung mit bezug auf die Halvings
Hinzu kommt, dass das Post-Halving-Jahr 2025 ungewöhnlich schwach begonnen hat. In früheren Zyklen war dieses Jahr fast immer von klar steigenden Kursen geprägt. Die Kombination aus frühzeitigem Allzeithoch und gedämpfter Post-Halving-Performance spricht dafür, dass sich strukturelle Veränderungen im Markt etabliert haben. Eine zentrale Rolle spielt dabei die abnehmende Bedeutung des Halvings selbst. Während früher eine drastische Angebotsverknappung stattfand, wirken die heute erzeugten Bitcoin – angesichts von mittlerweile 95 Prozent bereits geschürfter Gesamtmenge – kaum noch marktbewegend.
Institutionen, ETFs und Staaten: Ein neues Marktregime
Eine fundamentale Veränderung ergibt sich auch aus der wachsenden Bedeutung institutioneller Marktteilnehmer. Seit der Einführung der US-Spot-Bitcoin-ETFs fließen täglich hohe Summen in regulierte Bitcoin-Produkte. Diese Form der Nachfrage ist stabiler und weniger von Emotionen getrieben als das Verhalten vieler Retail-Investoren in früheren Zyklen. Dadurch verändert sich die Marktstruktur nachhaltig.
BTC Spot-ETFs In- & Outflows
Quelle: https://www.ccn.com/news/crypto/bitcoin-etf-largest-daily-inflows-2025/
Institutionelle Investoren kaufen zudem typischerweise in Schwächephasen, statt sich von kurzfristigen Marktbewegungen leiten zu lassen. Auch Staaten spielen zunehmend eine Rolle. Die Diskussion um nationale Bitcoin-Reserven, angeführt von der US-Regierung und kleineren Staaten wie El Salvador, zeigt, dass Bitcoin inzwischen geopolitisch relevant geworden ist.
All diese Faktoren führen dazu, dass ein starker, zyklusgetriebener Bärenmarkt – wie in der Vergangenheit – erheblich schwerer entstehen kann. Wo früher Übertreibungen gefolgt von Panik dominierten, sorgen heute strukturelle Käufer für Stabilisierung.
War der Bärenmarkt bereits früher als erwartet?
Hunter Horsley, CEO von Bitwise, argumentiert, dass sich der klassische Bärenmarkt 2025 möglicherweise bereits unbemerkt abgespielt hat – nur früher als gewohnt. Da so viele Investoren auf den Vier-Jahres-Zyklus setzen, könnte der Verkaufsdruck weit nach vorne gezogen worden sein. Der ungewöhnlich schwache Kursverlauf zu Jahresbeginn würde genau dazu passen.
Schwacher Jahresbeginn 2025 bei Bitcoin
Wenn die Marktteilnehmer also den Bärenmarkt erwarteten, bevor er „eigentlich“ hätte beginnen sollen, könnte genau das dazu geführt haben, dass er sich vorzeitig entfaltet hat. Diese Idee passt zu einem bekannten Grundproblem aller Modelle: Sobald zu viele Menschen nach einem bestimmten Muster handeln, löst sich dieses Muster von selbst auf.
Der Gegenpol: Michael Saylor und die Theorie der strukturellen Entkopplung
Michael Saylor vertritt eine klare Gegenmeinung. Für ihn spielen zyklische Muster längst keine Rolle mehr. Die Dynamik des Marktes werde heute vor allem durch makroökonomische Einflüsse, Liquidität, politische Entscheidungen und die Aktivität großer Käufer bestimmt. Die geringe Bedeutung der Halving-bedingten Angebotsreduktion sei nur ein weiterer Hinweis darauf, dass Zyklen von nun an höchstens als sentimentale Relikte anzusehen sind.
Saylor betont, dass Investoren Bitcoin aus einer langfristigen Perspektive betrachten sollten. Wer in Zeiträumen von wenigen Monaten handelt und versucht, Zyklen zu prognostizieren, agiert seiner Ansicht nach nicht als Investor, sondern als Trader. Und selbst dieser Ansatz sei angesichts der Marktdynamik schwer erfolgreich umzusetzen.
Abnehmendes Risiko extremer Crashs
Historische Crashs von 80 Prozent oder mehr basierten stark auf der Unsicherheit, ob Bitcoin überhaupt überleben würde. Dieses Risiko existiert heute praktisch nicht mehr. BlackRock bewirbt Bitcoin aktiv, Regierungen beschäftigen sich mit offiziellen Bitcoin-Reserven, und On-Chain-Daten zeigen beständig, dass ein Großteil der Coins langfristig gehalten wird. Gleichzeitig sinken die Bestände auf zentralisierten Börsen weiter, was das Angebot auf dem offenen Markt verknappt.
Total Exchange In- & Outflows
Unter diesen Bedingungen ist ein Einbruch wie in früheren Zyklen zwar nicht unmöglich, aber deutlich weniger wahrscheinlich. Wahrscheinlicher sind moderatere, aber dennoch schmerzhafte Korrekturen von 20 bis 40 Prozent – vor allem dann, wenn sich die makroökonomische Lage weiter eintrübt oder die ETF-Nachfrage temporär schwächelt.
Fazit: Ein Markt im Übergang
Die Daten, Signale und Marktmechanismen sprechen eine klare Sprache: Bitcoin passt längst nicht mehr in die engen Strukturen der alten Halving-Zyklen. Doch gleichzeitig sind bestimmte Muster noch tief in den Köpfen vieler Anleger verankert, was sie als psychologische Faktoren weiterhin wirksam macht.
Die Zyklustheorie ist heute weder vollständig gültig noch vollständig widerlegt. Vielmehr scheint es, als befände sich Bitcoin in einer Übergangsphase. Institutionelle Nachfrage, geopolitische Bedeutung und das steigende Bewusstsein um Bitcoins Rolle als hartes Asset schieben den Markt in ein neues Regime. Die Mechanismen früherer Jahre verblassen – teilweise langsam, teilweise abrupt.
Klar ist: Ein Bärenmarkt alter Prägung erscheint zunehmend unwahrscheinlich. Aber ein völlig bruchloser Aufwärtstrend ebenfalls. Bitcoin bewegt sich heute in einem Spannungsfeld aus alten Narrativen und neuen Marktkräften, wobei langfristig die strukturellen Treiber überwiegen.
Wer Bitcoin fundamental versteht, denkt weniger in Zyklen – und mehr in Dekaden.
Quellen:
CoinGecko - Bitcoin Halving Countdown
Angaben zu Halving-Datum, Blockhoehe und Reduktion der Block Rewards.
https://www.coingecko.com/en/coins/bitcoin/bitcoin-halving
Bitbo - Bitcoin Halving Progress Chart
Vergleich des aktuellen Zyklus mit frueheren Bitcoin-Halving-Phasen.
https://charts.bitbo.io/halving-progress/
Farside Investors - Bitcoin ETF Flow (US-Dollar)
Taegliche Zu- und Abfluesse aller US-Spot-Bitcoin-ETFs (IBIT, FBTC, ARKB, GBTC usw.).
https://farside.co.uk/btc/
Weitere Marktfluss-Daten:
The Block Research
https://www.theblock.co
Coinglass
https://www.coinglass.com
CryptoQuant - Bitcoin Total Exchange Flows
Netto-Zu- und Abfluesse von Bitcoin auf zentralisierten Boersen.
https://cryptoquant.com/asset/btc/chart/exchange-flows
Caleb and Brown - Bitcoin Market Cycle and Crypto Cycles
Analyse langfristiger Marktzyklen.
https://calebandbrown.com/blog/bitcoins-market-cycle/
Kommentar hinzufügen
Kommentare